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„Denkst du, du kennst Protein? Denk nochmal nach!“

Die Wahrheit über Protein: Wie viel brauchen wir wirklich?

Einleitung

In den letzten Jahren hat sich der Trend zu proteinreichen Lebensmitteln in der Ernährungswelt stark verbreitet. Ob Snack-Riegel, Joghurt, Eiscreme oder sogar Flaschenwasser – die Lebensmittelindustrie hat Wege gefunden, um überall zusätzliches Protein einzuschleusen. Fitness-Influencer, Forscher und Ärzte propagieren hochproteinreiche Diäten als das Geheimnis für Stärke und Langlebigkeit. Doch wie viel Protein benötigen wir wirklich? Dieser Artikel beleuchtet die wissenschaftlichen Erkenntnisse und gibt dir einen klaren Überblick über die aktuellen Empfehlungen.

Hauptteil

Der wachsende Markt für proteinreiche Produkte

Der Markt für proteinreiche Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel hat ein Volumen von mehreren Milliarden US-Dollar erreicht. Während offizielle Richtlinien oft einen Mindestbedarf von etwa 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag empfehlen, propagieren viele Wellness-Gurus, dass wir mehr als das Doppelte benötigen. Doch diese hohen Empfehlungen sind oft nicht durch wissenschaftliche Beweise gestützt.

Katherine Black, eine Ernährungswissenschaftlerin an der Universität von Otago in Neuseeland, beschreibt diese Situation als frustrierend. Laut ihr gibt es keine ausreichenden Belege, die die extrem hohen Proteinempfehlungen unterstützen. Stattdessen variiert der Proteinbedarf von Person zu Person und kann sich im Laufe des Lebens ändern.

Die Berechnung des Proteinbedarfs

Forscher haben über ein Jahrhundert lang versucht, den Proteinbedarf des Menschen zu bestimmen. Der Chemiker Justus von Liebig schätzte im Jahr 1840, dass ein durchschnittlicher Erwachsener etwa 120 Gramm Protein pro Tag benötigt. Später begannen Wissenschaftler, Stickstoff zu verwenden, um den Proteinbedarf zu berechnen, da Protein das einzige wichtige Nahrungsmittel ist, das Stickstoff enthält.

Die aktuellen Empfehlungen für die tägliche Proteinzufuhr, die 2005 veröffentlicht wurden, setzen den RDA (Recommended Dietary Allowance) für Männer und Frauen auf 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht fest. Diese Menge sollte ausreichen, um die Bedürfnisse von 97-98 % gesunder Menschen zu decken. Europäische und globale Gesundheitsbehörden empfehlen ähnliche oder leicht höhere Werte.

Die optimale Proteinzufuhr

Obwohl viele Wissenschaftler die RDA als nützlichen Referenzwert anerkennen, sind sie sich einig, dass eine höhere Proteinzufuhr von Vorteil sein kann. Donald Layman, ein Forscher an der Universität von Illinois, argumentiert, dass der optimale Bereich zwischen 1,2 und 1,6 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag liegt. Dies gilt insbesondere für ältere Erwachsene, die häufig Muskelmasse verlieren, sowie für bestimmte Athleten und Menschen, die Muskelmasse aufbauen möchten.

Eine Studie mit 2.066 Erwachsenen im Alter von 70 bis 79 Jahren zeigte, dass diejenigen, die die meiste Proteinmenge konsumierten (etwa 1,1 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht), während eines dreijährigen Follow-ups 40 % weniger Muskelmasse verloren als diejenigen, die am wenigsten Protein konsumierten (etwa 0,7 Gramm pro Kilogramm).

Nicholas Burd, ein weiterer Forscher an der Universität von Illinois, betont, dass ältere Menschen besonders auf ihre Proteinzufuhr achten sollten, da sie oft einen Rückgang des Appetits erleben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie auf Proteinergänzungen angewiesen sind. „Es ist alles möglich, indem man einfach proteinreiche Lebensmittel in unsere Ernährung integriert“, sagt Burd.

Protein und Sport

Für gesunde Erwachsene kann eine erhöhte Proteinzufuhr die Effekte von Widerstandstraining, wie Gewichtheben, steigern. Eine systematische Übersichtsarbeit von 2017 fand heraus, dass die Einnahme von Proteinergänzungen bei Menschen, die an diesem Training teilnehmen, den Muskelaufbau und die Kraft steigert. Eine Erhöhung der Proteinzufuhr über 1,6 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag bringt jedoch keine weiteren Vorteile.

Trotzdem schwören einige Fitness-Influencer auf eine tägliche Proteinzufuhr von 2,2 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht. Für die meisten Menschen ist das jedoch übertrieben. Burd erklärt, dass es kaum schädlich ist, außer für Menschen mit Nierenerkrankungen, aber es führt zu einem ineffizienten System, in dem der Körper Protein verschwendet.

Die Rolle der Aminosäuren

Nicht alle Proteine sind gleich, und einige Forscher plädieren für eine differenzierte Empfehlung, die die Aminosäuren berücksichtigt. Der menschliche Körper benötigt 20 Aminosäuren, von denen 9 als „essentiell“ gelten, da sie nur über die Nahrung aufgenommen werden können.

Die Verteilung dieser neun Aminosäuren in tierischen Lebensmitteln entspricht genau dem Bedarf anderer Tiere, während pflanzliche Lebensmittel oft in unterschiedlichen Proportionen vorliegen. Layman kritisiert die offiziellen Ernährungsrichtlinien, die den Proteingehalt aus verschiedenen Quellen berechnen. Laut seiner Forschung würde es tatsächlich mehr als 115 Gramm Mandeln benötigen, um 28 Gramm Hähnchenbrust zu ersetzen.

Robert Wolfe, ein Forscher für Muskelstoffwechsel an der Universität von Arkansas, betont, dass die Qualität des Proteins, einschließlich des Aminosäuregleichgewichts und der Verdaulichkeit, in die Ernährungsempfehlungen einfließen sollte. Ein Bereich für zukünftige Forschung ist das Verständnis, wie die Verarbeitung von Lebensmitteln den Proteingehalt beeinflusst.

Die Umwelt- und Gesundheitsaspekte

Die American Heart Association empfiehlt, pflanzliche Proteine zu priorisieren, da gesättigte Fette in rotem Fleisch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen können. Auch die Umweltkosten der Fleischproduktion sind hoch, da sie eine bedeutende Quelle für Treibhausgasemissionen darstellt.

Burd stellt fest, dass eine Ernährung, die zumindest einen Teil tierischer Proteine enthält, wahrscheinlich alle essentiellen Aminosäuren für die Aufrechterhaltung einer guten Gesundheit bereitstellt. Es ist jedoch auch möglich, die gleichen Vorteile ausschließlich aus pflanzlichen Proteinen zu erzielen. „Hier könnten Ergänzungen nützlich sein, da es schwieriger ist, dieses Gleichgewicht nur aus Pflanzen zu erreichen“, erklärt Burd.

Aktuelle Empfehlungen und der Proteinbedarf der Bevölkerung

Fachleute, die an der Formulierung der kommenden Dietary Guidelines for Americans mitarbeiten, stellen fest, dass die meisten Amerikaner bereits mehr als ausreichend Protein konsumieren. Sie schlagen vor, den Konsum von rotem Fleisch, Hähnchen und Eiern zu reduzieren und den Verzehr bestimmter Gemüse zu erhöhen. Es bleibt jedoch unklar, welche genauen Empfehlungen in den Richtlinien enthalten sein werden.

Eine Studie, die in Brasilien durchgeführt wurde, ergab, dass die Menschen im Allgemeinen die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation für Proteinzufuhr weit übertreffen, selbst die einkommensschwächeren Gruppen. Daher besteht für die meisten Menschen kein Bedarf, obsessiv auf eine genaue Proteinmenge zu achten.

„Für die meisten Menschen gilt: Solange sie genügend Kalorien und eine einigermaßen abwechslungsreiche Ernährung zu sich nehmen, werden sie alle Proteine erhalten, die sie benötigen“, sagt Marrocos.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Proteinbedarf von Person zu Person unterschiedlich ist und von verschiedenen Faktoren abhängt, darunter Alter, Aktivitätslevel und allgemeine Gesundheit. Während die offiziellen Empfehlungen oft als Mindestwerte dienen, zeigen zahlreiche Studien, dass eine höhere Proteinzufuhr für bestimmte Gruppen, insbesondere ältere Erwachsene und sportlich Aktive, vorteilhaft sein kann.

Es ist jedoch wichtig, die Qualität der Proteinquellen zu berücksichtigen und eine ausgewogene Ernährung zu pflegen. Eine übermäßige Fokussierung auf den Proteinverbrauch, insbesondere durch Nahrungsergänzungsmittel, kann ineffizient und unnötig sein.

Das Bewusstsein für die eigene Ernährung und die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse sind entscheidend, um die eigene Gesundheit zu fördern. Letztendlich ist die beste Strategie, eine Vielfalt an Lebensmitteln zu konsumieren, um alle notwendigen Nährstoffe, einschließlich Proteine, zu erhalten.