Darm und Gehirn
Magen-Darm-Störungen sind oft mit psychischen Dysfunktionen verbunden und lassen sich durch eine Fehlfunktion der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn erklären, wie ein Forschungsprojekt des Wissenschaftsfonds FWF zeigt.
Schätzungen zufolge leidet jeder Fünfte an wiederkehrenden Bauchkrämpfen, Sättigungsgefühl, Verdauungsproblemen oder Reizdarmsyndrom (IBS).
In den meisten Fällen lässt sich jedoch keine Ursache feststellen.
In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt untersuchte ein Grazer Forscherteam um Peter Holzer die Auswirkungen chronisch entzündlicher Bauchschmerzen auf die Funktion des Gehirns und das Sozialverhalten. (1)
Im Tierversuch konnten die Wissenschaftler deutliche Veränderungen im Gehirn nachweisen, die sowohl mit dem (Schmerz-)Gedächtnis als auch mit Emotionen zusammenhängen.
Gehirnfunktion und Verhalten
Holzer und sein Team untersuchten die beiden Aspekte, Schmerzempfindlichkeit und Stress, genauer. Ihre Untersuchungen zeigten, dass eine Darmentzündung die Schmerzempfindlichkeit erhöht und damit Auswirkungen auf das Gehirn hat. (2)
Dies wiederum beeinflusst das Sozialverhalten der Betroffenen, was beispielsweise zu Entzugs- oder Angststörungen führt.
“Verhaltensänderungen durch Colitis spiegeln sich im limbischen System und den verbundenen Regionen der Rinde wider”, erklärt Peter Holzer und stellt fest, dass chronische Bauchschmerzen oft mit Psychopathologien verbunden sind.
Daher ist es besonders wichtig, diese Begleitstörungen in die Untersuchung einzubeziehen. Die Forscher gehen davon aus, dass dies die Schmerzempfindlichkeit erhöhen könnte, wenn Stress im Spiel ist.
Es hat sich gezeigt, dass dies nicht für niedrige, “vorhersehbare” Belastungen gilt. In diesem Fall wird die Resistenz gegen viszerale Schmerzreize sogar erhöht, wie die Auswirkungen der Stresssituation auf die Gehirnfunktionen gezeigt haben.
Auf der Suche nach Verbindungen
Der Versuch, dem komplexen Phänomen des chronischen (Bauch-)Schmerzes auf den Grund zu gehen, kann mit der Arbeit eines Detektivs verglichen werden und führt oft vom eigentlichen Auslöser weg zu anderen Körperfunktionen.
Dementsprechend versuchen die Forscher zunehmend, das Zusammenspiel verschiedener Körpersysteme zu verstehen. Bei Bauchschmerzen konzentrierten sich die Studien bisher auf die sehr schmerzempfindlichen Nervenfasern im Magen-Darm-Trakt.
Schließlich durchlaufen insgesamt fünf Nervensysteme den Verdauungstrakt. “Es wurden viele interessante Winkel gefunden und Medikamente entwickelt. Aber in klinischen Tests an Patienten zeigt sich, dass die Medikamente wenig oder gar keine Wirkung haben”, sagt Holzer. ”
Die Lehre daraus: Chronische Bauchschmerzen entstehen nicht nur durch eine Überempfindlichkeit der Nerven im Magen-Darm-Trakt, sondern es muss auch etwas anderes beteiligt sein, das näher am Gehirn liegt.”
Eine Vielzahl von Informationen und Wegen
Immer deutlicher wird den Wissenschaftlern, wie viele Informationen bei Bauchschmerzen tatsächlich vom Darm an das Gehirn weitergegeben werden.
Dass hier nicht nur die neuronalen, sondern auch die hormonellen und immunologischen Signalwege von Bedeutung sind, beweist das aktuelle FWF-Forschungsprojekt.
Hinzu kommt die neueste Forschung zum Darmmikrobiom, dem Darm-Ökosystem mit seiner Vielzahl von Bakterien. ” Die Darmmikrobiota beeinflusst alle möglichen Körperfunktionen, einschließlich der Gehirn- und Schmerzempfindlichkeit, aber auch die Stimmung des Einzelnen”, sagt Holzer.
Im Rahmen des EU-Projekts “MyNewGut” untersuchen Forscher der Medizinischen Universität Graz, ob die Zusammensetzung der Darmmikrobiota einen Einfluss auf die Gehirnfunktion hat. (3)
“Für ein umfassendes Verständnis chronischer Schmerzsyndrome ist es wichtig, alle Informationswege, nicht nur die neuronalen, zwischen Peripherie und Gehirn zu berücksichtigen”, betont Holzer.
Der Experte ist überzeugt, dass nur eine Normalisierung der gestörten Gehirnfunktion zu einer erfolgreichen Therapie chronischer Schmerzen führen kann.