Künstliche Intelligenz in der Wissenschaft: Chancen und Herausforderungen
Einleitung
In der heutigen Wissenschaft wird Künstliche Intelligenz (KI) zunehmend als Werkzeug genutzt, um neue Hypothesen zu entwickeln und komplexe Datenmuster zu erkennen. Insbesondere in den Bereichen Chemie, Biologie und Medizin spielen KI-Modelle eine immer größere Rolle. Doch während diese Algorithmen beeindruckende Vorhersagen treffen können, werfen sie auch viele Fragen auf. Eine aktuelle Studie der Universität Bonn hat die Grenzen und Möglichkeiten von KI-Modellen beleuchtet und warnt vor Missverständnissen im Umgang mit diesen Technologien. In diesem Artikel werden wir die Ergebnisse der Studie näher betrachten und die Bedeutung der „Erklärbarkeit“ von KI-Modellen diskutieren.
Die Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz
Black Box: Was geschieht im Inneren der KI?
Ein zentrales Problem bei der Anwendung von KI-Algorithmen ist ihre Intransparenz. Oftmals werden sie als „Black Boxes“ bezeichnet, da es für die Nutzer schwierig ist, nachzuvollziehen, wie genau die Algorithmen zu ihren Entscheidungen kommen. Dies wird besonders deutlich, wenn wir an ein einfaches Beispiel denken: Wenn wir einer KI Tausende von Bildern von Autos zeigen und sie dann ein neues Bild präsentiert bekommt, kann sie in der Regel zuverlässig entscheiden, ob es sich um ein Auto handelt. Doch welche Kriterien verwendet sie dabei? Lernt sie, dass ein Auto vier Räder, eine Windschutzscheibe und einen Auspuff hat, oder stützt sie sich auf irrelevante Merkmale, wie etwa eine Antenne auf dem Dach? Solche Unsicherheiten können zu falschen Schlussfolgerungen führen und die Ergebnisse der Forschung gefährden.
Die Rolle der Erklärbarkeit
Prof. Dr. Jürgen Bajorath, der die KI-Abteilung der Lebenswissenschaften am Lamarr Institute für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz leitet, betont die Bedeutung der Erklärbarkeit in der KI-Forschung. „Erklärbarkeit“ bezieht sich auf die Bemühungen, einen Einblick in die Entscheidungen der Algorithmen zu erhalten. Es geht darum, zu verstehen, welche Merkmale die KI zur Entscheidungsfindung heranzieht. Dies ist entscheidend, um zu beurteilen, ob die Ergebnisse verlässlich sind oder nicht. Wenn beispielsweise ein Algorithmus angibt, dass er seine Entscheidung auf der Antenne basiert hat, können Forscher erkennen, dass dieses Merkmal wenig zur Identifikation eines Autos beiträgt.
Die Anwendung von KI in der Chemie
Neue Verbindungen durch chemische Sprachmodelle
Ein Bereich, in dem KI besonders vielversprechend ist, ist die chemische Forschung. Chemische Sprachmodelle werden verwendet, um neue Moleküle mit spezifischen biologischen Aktivitäten zu entwickeln. Hierbei wird das Modell mit einer Vielzahl von Molekülen trainiert, die bereits eine bestimmte Aktivität zeigen. Das Ziel ist es, neue Moleküle vorzuschlagen, die diese Aktivität ebenfalls aufweisen, jedoch eine andere Struktur haben. Diese Art des Lernens wird als generatives Modellieren bezeichnet.
Allerdings gibt es auch hier erhebliche Einschränkungen. Die meisten Modelle können nicht erklären, warum sie zu einem bestimmten Ergebnis kommen. Dies führt dazu, dass die Forscher oft auf erklärbare KI-Methoden zurückgreifen müssen, um zu verstehen, welche Merkmale die KI für wichtig hält. Prof. Bajorath warnt jedoch davor, diese Erklärungen überzubewerten. „Aktuelle KI-Modelle verstehen im Wesentlichen nichts von Chemie“, sagt er. Sie sind rein statistisch und korrelativ und konzentrieren sich auf Merkmale, die möglicherweise nicht chemisch oder biologisch relevant sind.
Fallstudie 1: KI-gestützte Molekülsynthese
In einer Studie aus dem Jahr 2021, veröffentlicht im Fachjournal Nature, wurde ein KI-Modell entwickelt, das in der Lage war, neuartige Antibiotika zu generieren. Forscher fütterten das Modell mit einer Vielzahl von bekannten Antibiotika und deren chemischen Strukturen. Das Modell schlug daraufhin mehrere neue Verbindungen vor, die in Laborexperimenten getestet wurden. Überraschenderweise zeigten einige dieser neuen Verbindungen eine hohe Wirksamkeit gegen resistente Bakterien. Dennoch war es notwendig, die vorgeschlagenen Moleküle synthetisch herzustellen und deren Wirkmechanismen zu überprüfen, um zu bestätigen, dass die Eigenschaften tatsächlich auf die chemischen Strukturen zurückzuführen sind, die die KI als wichtig erachtet hatte.
Fallstudie 2: Korrelation vs. Kausalität
In einer weiteren Untersuchung wurde ein KI-Modell eingesetzt, um die Wirksamkeit von Chemotherapeutika zu bewerten. Die KI analysierte große Datensätze von Patienten, die unterschiedlichen Behandlungen ausgesetzt waren. Die Ergebnisse zeigten vielversprechende Zusammenhänge zwischen bestimmten genetischen Markern und dem Ansprechen auf Therapien. Hier stellt sich jedoch die Frage der Kausalität: Bedeutet eine statistisch signifikante Korrelation auch, dass diese Marker tatsächlich die Wirksamkeit beeinflussen? Ohne experimentelle Validierung könnten die Ergebnisse irreführend sein und zu falschen Behandlungsentscheidungen führen.
Plausibilitätsprüfungen sind entscheidend
Obwohl adaptive Algorithmen großes Potenzial zur Verbesserung der Forschung bieten, ist es wichtig, ihre Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Prof. Bajorath betont, dass Forscher sich fragen sollten, ob die von der KI vorgeschlagenen Merkmale tatsächlich für die gewünschten chemischen oder biologischen Eigenschaften verantwortlich sind. „Es ist wichtig, dass wir nicht blind den Ergebnissen vertrauen“, sagt er. Plausibilitätsprüfungen sind unerlässlich, um zu entscheiden, ob es sinnvoll ist, den Vorschlägen der KI nachzugehen oder ob es sich möglicherweise um zufällig identifizierte Korrelationen handelt, die für die tatsächliche Funktion irrelevant sind.
Fazit
Die Verwendung von Künstlicher Intelligenz in der Wissenschaft bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Forschung voranzutreiben und neue Lösungen zu entwickeln. Dennoch ist es von entscheidender Bedeutung, die Grenzen dieser Technologie zu erkennen. KI-Modelle sind oft intransparent und können zu falschen Schlussfolgerungen führen, wenn ihre Ergebnisse nicht kritisch hinterfragt werden. Die Erklärbarkeit der Algorithmen spielt eine zentrale Rolle, um Vertrauen in ihre Ergebnisse zu schaffen.
Die vorgestellten Studien verdeutlichen, dass, obwohl KI-gestützte Ansätze vielversprechend sind, sie immer durch experimentelle Validierung ergänzt werden müssen. Nur so können wir sicherstellen, dass die von der KI vorgeschlagenen Lösungen tatsächlich die gewünschten Effekte haben und nicht auf irreführenden Mustern basieren. Forscher müssen sich der Stärken und Schwächen von KI bewusst sein und diese Technologien als Hilfsmittel betrachten, die unser Verständnis von komplexen biologischen und chemischen Prozessen erweitern können – jedoch nicht als endgültige Antworten.
In einer Welt, die zunehmend von Daten und Algorithmen geprägt ist, bleibt es entscheidend, dass wir als Wissenschaftler und Forscher auch weiterhin kritisch denken und die Ergebnisse der Künstlichen Intelligenz hinterfragen. Nur so können wir sicherstellen, dass wir den vollen Nutzen aus den Möglichkeiten ziehen, die uns diese Technologie bietet, während wir gleichzeitig die Integrität und Validität unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse wahren.